Architektur des Historismus: Ein Spaziergang durch die Bonner Nordstadt
- Dr. Tobias Schmitz
- 10. Apr.
- 2 Min. Lesezeit
Aktuell lockt die zauberhafte Blüte der Zierkirschen Tausende Touristen in die Straßen der Bonner Nordstadt, die von einem Dach aus zartrosafarbenen und weißen Blüten überspannt werden.
Für Architekturbegeisterte, und besonders für solche, die die Baukunst des Historismus, der Belle Époque lieben, lohnt ein Besuch der Bonner Nordstadt; am besten aber nach der Kirschblüte, wenn der Strom der Touristen abebbt und wieder Ruhe einkehrt in den Straßen und Gassen.
Dann offenbart sich den Besuchern in der Heerstrtaße (der alten Römerstraße) und in den davon abzweigenden Seitenstraßen ein Ensemble verschiedenartiger Architekturen des 19. und frühen 20. Jh., in dem keine Hausfassade der anderen gleicht. Gegründet gegen Ende des 19. Jh. entstanden dort Mietshäuser ohne Vorgärten und meist ohne Balkons und Erker, gebaut vor allem für Handwerker und Arbeiter, die mit zunehmendem Wohlstand der Stadtbevölkerung nach Bonn kamen. Hier zeigt sich die Epoche des Historismus von seiner kreativsten Seite: An den Klassizismus angelehnte Fassaden sind streng gegliedert mit Spitzgiebeln über den Fenstern der Belle Etage (1. Stock) und einfachen Architraven über den Fenstern des Erdgeschosses.

Andere Fassaden spielen dagegen mit den Formen der Gotik. Fenster mit Spitzbögen (links) oder Dreipässen (Treppenhausfenster rechts) sowie Bauschmuck aus gotisierendem Maßwerk (Fischblasen zwischen den Fenstern links) und die Fenster umrahmendes Gestänge, das an den Seiten in Kreuzblumen ausläuft (rechts), erinnern an die Vorbilder der sakralen Architektur des Mittelalters.

Fassaden in Anlehnung an die Renaissance zeigen dagegen oft Rundbogenfenster, über denen Spitz- oder Rundbogengiebel prangen oder etwas schlichter wirkende Architrave (wie hier in der 1. Etage). Die Fassaden werden längs von Pilastern (mit dem Mauerwerk verbundene Halbsäulen) unterteilt. Dabei kann man auch die klassischen Säulenordnungen studieren (hier: ionisch mit Volutenkapitell unten und korinthisch mit Akanthuslaub oben). Für angehende Künstlerinnen und Architekten bieten die Fassaden der Häuser ideale Motive für Zeichenstudien und Architekturskizzen. Als lebhaftes Studentenviertel mit kultureller Vielfalt sind die Straßenfluchten aber auch ein guter Ort für die Freunde des Urban Sketchings. Nach einem Rundgang durch das Viertel bietet sich eine Rast in einem der zahlreichen kleinen Cafés und Restaurants an.

Wer es noch pompöser und eher gediegen mag und nach einer Pause wieder laufbereit ist, sollte auf jeden Fall noch die Bonner Südstadt besuchen, die etwa zur gleichen Zeit entstanden ist. Sie erstreckt sich von der prächtigen Poppelsdorfer Allee bis zur Reuterstraße. Die Bürger- und Geschäftshäuser dieses Viertels sind weitaus großzügiger konzipiert, haben große Erker und Balkons, oft von Atlanten oder Karyatiden getragen, sowie größtenteils schön gestaltete Vorgärten mit altem Baumbestand.

Beide Viertel beeindrucken durch das noch fast vollständig erhaltene historische Ensemble, sodass Besucherinnen und Besucher regelrecht abtauchen können in die Zeit der Belle Époque des ausgehenden 19. Jahrhunderts.