Design Thinking trifft Kunst – warum künstlerisches Arbeiten die Wirtschaft inspiriert
- Paula Schmidt
- 12. Sept.
- 4 Min. Lesezeit
Wenn Manager:innen über Innovation sprechen, fällt der Begriff Design Thinking fast immer. Kaum ein Unternehmen, das nicht Workshops anbietet, in denen Post-its an Glaswänden kleben, Teams brainstormen und Prototypen aus Lego oder Pappe entstehen. Design Thinking gilt als die Innovationsmethode schlechthin. Doch die meisten übersehen dabei eine entscheidende Tatsache: Viele Prinzipien, die Design Thinking stark machen, sind seit Jahrhunderten Bestandteil künstlerischer Praxis.
Kunst ist mehr als Ästhetik. Sie ist Forschung, Experiment, ein Werkzeug, um Ungewissheit auszuhalten und Neues zu schaffen. Genau diese Fähigkeiten brauchen Unternehmen, um zukunftsfähig zu bleiben. Wenn Kunst und Design Thinking zusammenkommen, entsteht ein Resonanzraum, der Wirtschaft, Gesellschaft und Bildung gleichermaßen inspiriert.

Kunst als Schule des Perspektivwechsels
Eine Szene aus dem Atelier: Eine Malerin steht vor einer Leinwand, auf der sie tagelang gearbeitet hat. Sie ist nicht zufrieden. Statt frustriert aufzugeben, dreht sie das Bild um 90 Grad, übermalt ganze Flächen, fügt neue Elemente hinzu. Für Außenstehende sieht es chaotisch aus, für die Künstlerin ist es ein Lernprozess.
Genau darin liegt die Parallele zum Design Thinking. Anstatt auf die „richtige“ Lösung zu warten, geht es darum, iterativ zu arbeiten, Annahmen zu testen und durch Perspektivwechsel neue Möglichkeiten zu entdecken.
Künstler:innen sind es gewohnt:
mit Unsicherheit zu arbeiten (das Ergebnis ist offen),
Fehler als Teil des Prozesses zu begreifen (jede Spur bringt Erkenntnis),
ungewöhnliche Kombinationen auszuprobieren (Materialien, Konzepte, Methoden).
Für Unternehmen bedeutet das eine wertvolle Haltung: Sie lernen, nicht nur in Effizienzlogik zu denken, sondern in Möglichkeitsräumen. Genau das ist der Kern kreativer Transformation.
Wirtschaft braucht Experimente – was Künstler:innen anders machen
Während klassische Unternehmenslogik auf Kontrolle und Vorhersagbarkeit setzt, ist künstlerisches Arbeiten von Experiment und Offenheit geprägt. Ein Beispiel:
Ein Absolvent des IBKK arbeitet heute als Innovationsmanager in der Automobilindustrie. Er erzählt, dass er in seiner Ausbildung nicht nur gelernt habe, „schöne Dinge“ zu gestalten, sondern vor allem, mit unklaren Aufgaben umzugehen. „Im Studium gab es oft keine eindeutigen Lösungen. Wir mussten selbst herausfinden, wie wir an Probleme herangehen. Das hilft mir heute enorm, weil die Fragen, die wir in der Industrie beantworten müssen, meist komplex und vielschichtig sind.“
Dieses Erfahrungswissen deckt sich mit dem Prinzip des Prototypings im Design Thinking. Künstler:innen erschaffen ständig Prototypen – Skizzen, Modelle, Zwischenschritte. Das Entscheidende: Sie hängen nicht am ersten Entwurf, sondern sind bereit, ihn zu verwerfen. Genau das macht Unternehmen innovativ.
Design Thinking als Schnittstelle
Design Thinking besteht aus fünf Phasen: Verstehen, Beobachten, Ideen finden, Prototypen entwickeln, Testen. Wer jemals an einem künstlerischen Prozess teilgenommen hat, erkennt sofort die Nähe:
Verstehen: Künstler:innen tauchen tief in Themen ein, recherchieren, sammeln Eindrücke.
Beobachten: Sie analysieren Formen, Muster, Kontexte – oft jenseits des Offensichtlichen.
Ideen finden: Kreativität ist hier kein Einfall, sondern das Ergebnis von Übung und Experiment.
Prototypen entwickeln: Ob Skizze, Modell oder Performance – der Prototyp ist ein Zwischenschritt, kein Endprodukt.
Testen: Feedback aus Ausstellungen, von Dozent:innen oder dem Publikum gehört zum Prozess.
Diese Schnittstelle macht deutlich: Design Thinking ist im Grunde angewandte künstlerische Methodik – nur in einen unternehmerischen Rahmen übertragen.
Kunst im Unternehmenskontext – konkrete Mehrwerte
Immer mehr Unternehmen öffnen sich für künstlerische Ansätze. Sie laden Künstler:innen in Innovationslabore ein oder kooperieren mit Kunsthochschulen. Was bringt das?
Neue Perspektiven auf Probleme
Künstler:innen hinterfragen Routinen. Sie stellen unbequeme Fragen, die Teams dazu bringen, jenseits von eingefahrenen Mustern zu denken.
Kulturelle Kompetenz und Diversität
Kunst arbeitet oft mit Brüchen und Ambivalenzen. Das schult Teams darin, Diversität nicht als Störung, sondern als Ressource zu begreifen.
Sichtbare Prototypen
Künstlerische Methoden produzieren schnell sichtbare Ergebnisse – Skizzen, Modelle, Installationen. Sie machen abstrakte Ideen greifbar.
Storytelling und Markenbildung
Künstler:innen sind Erzähler:innen. Sie wissen, wie man mit Bildern, Symbolen und Emotionen Identität schafft – eine Kompetenz, die Marken heute dringend brauchen.
IBKK als Brücke zwischen Kunst und Wirtschaft
Am IBKK Design- und Kunstzentrum ist diese Verbindung gelebte Praxis. Studierende arbeiten nicht nur an eigenen Projekten, sondern auch in Kooperationen mit Unternehmen, Kulturinstitutionen und sozialen Einrichtungen. Dabei lernen sie, ihre künstlerische Haltung auf unterschiedliche Kontexte zu übertragen – von klassischer Atelierarbeit bis hin zu angewandten Innovationsprojekten. Diese Erfahrungen zeigen: Kunst und Wirtschaft sind keine Gegensätze, sondern ergänzen sich, wenn beide Seiten bereit sind, voneinander zu lernen.
Storytelling: Wenn ein Workshop plötzlich alles verändert
Eine persönliche Anekdote einer IBKK-Absolventin:„Ich wurde zu einem Workshop in einem Unternehmen eingeladen, das neue Ideen für die Zukunft seiner Produkte suchte. Statt klassischer Brainstorming-Sessions habe ich die Teilnehmer:innen gebeten, mit Ton zu arbeiten und ihre Vorstellungen von ‚Zukunft‘ zu formen. Am Anfang war viel Skepsis. Doch nach einer Stunde war der Raum voller Figuren, Modelle, abstrakter Formen. Die Diskussion, die daraus entstand, war viel tiefer als jedes Flipchart. Ein Manager sagte später: ‚Wir haben in zwei Stunden mehr gelernt als in drei Monaten Meetings.‘“
Solche Erfahrungen verdeutlichen, warum künstlerisches Arbeiten nicht nur „anders“, sondern oft effektiver ist.
Kunst als Zukunftskompetenz
Wenn über die Arbeitswelt von morgen gesprochen wird, tauchen Begriffe wie „Agilität“, „Resilienz“ und „Innovationskraft“ auf. Doch all diese Fähigkeiten lassen sich auch in einem Wort zusammenfassen: künstlerische Kompetenz.
Agilität: Künstler:innen reagieren flexibel auf neue Impulse.
Resilienz: Sie lernen, mit Kritik, Unsicherheit und Rückschlägen umzugehen.
Innovationskraft: Sie schaffen Neues, das es vorher nicht gab.
Deshalb ist es kein Zufall, dass Unternehmen vermehrt Künstler:innen einladen – und das nicht als Dekoration, sondern als Impulsgeber:innen.
FAQ – Design Thinking & Kunst
Was unterscheidet Design Thinking von Kunst?
Design Thinking ist eine strukturierte Methode, Kunst ein freier Prozess. Doch beide teilen zentrale Prinzipien: Experiment, Iteration und Empathie.
Warum ist künstlerisches Arbeiten für Unternehmen relevant?
Kunst schult den Umgang mit Unsicherheit, fördert kreative Problemlösungen und stärkt die Innovationskultur – Qualitäten, die Unternehmen dringend brauchen.
Kann man künstlerische Methoden lernen, ohne Künstler:in zu sein?
Ja. Methoden wie Perspektivwechsel, Prototyping oder visuelles Arbeiten sind übertragbar und lassen sich in Workshops trainieren.
Welche Rolle spielt das IBKK?
Das IBKK bietet Studiengänge, in denen künstlerisches Arbeiten praxisnah vermittelt wird – von Malerei und Grafik über Kommunikationsdesign bis zur Kunsttherapie. Diese Kompetenzen sind auch im unternehmerischen Kontext wertvoll.
Ist das nur für große Konzerne interessant?
Nein. Gerade kleine und mittelständische Unternehmen profitieren von künstlerischen Impulsen, weil sie direkt Innovation in Prozesse und Produkte bringen können.


